Kann ein Staat ohne Menschen existieren? Nein. Er erhält sein Dasein, seine Rechte und seine Pflichten von den Menschen, die auf dem von ihnen bewohnten Land leben. Wer Rechte gewährt, kann sie auch entziehen.
Die Rechte, die die Menschen dem Staat gewähren, können die Menschen dem Staat entziehen. Nur die Rechte, die der Staat seinen Staatsangehörigen gewährt, kann der Staat entziehen, und nur diese Rechte können vor Staatsgerichten eingeklagt werden.
Der Staat kann nur innerhalb der ihm gewährten Kompetenz tätig sein. Er kann nicht abschaffen, was ihn erschaffen hat. Die menschliche Kompetenz, Jurisdiktion auszuüben, ist Vorbedingung für die Erschaffung des Staats. Die menschliche Kompetenz, Ideen in Handlung und Form umzusetzen, ist Vorbedingung für die Handlungsfähigkeit des Staates. Er selbst kann nicht handeln, er braucht den Menschen als handelndes Organ. Insofern bleibt jeder Mensch, auch im Dienste des Staates, voll verantwortlich für seine Entscheidungen und sein Handeln, denn der Staat kann nur so handeln wie die von ihm benutzten Menschen zu handeln bereit sind.
Nicht zu vergessen: Nemo plus iuris transferre potest quam ipse habet !
Liebe Berna,
Die Norm des § 15 ist entfallen.
Das hat das Finanzgericht Münster am 06.08.2010 jemanden geschrieben. (http://blog.berg-kommunikation.de/?p=3607)
Dann ist ein Finanzgericht kein ordentliches Staatsgericht.
Zudem ist ja auch im Netzt der Hinweis anzutreffen, daß ein Stillstand der Rechtspflege offenkundig (?) ist.
Bei allem Respekt, sind Finanzgerichte etwa Ausnahmegerichte oder eine Art freiwillige Gerichte?
Liebe Grüße in die Runde
Monika Saalbach
Art. 92 GG hilft dir sicher weiter. Art. 103 WRV enthielt eine ganz ähnliche Bestimmung. §15 Satz 1 GVG war daher schon seit 1919 überflüssig. Auch Satz 2 und 3 sind schon längst entweder selbstverständlich oder ihr Inhalt in andere Gesetze integriert.
Übrigens wurde diese Bestimmung nicht durch die Alliierten aufgehoben, wie in der verlinkten Quelle behauptet, sondern vom Bundestag.
Ausnahmegerichte sind zwar verboten, aber staatliche Gerichte wären sie dennoch.
Kannst du dir nichtstaatliche Gerichte vorstellen?
Ja, das gibt es, der DFB hat z. B. ein Sportgericht. Aber ein Finanzgericht ist ohne jeden Zweifel ein staatliches Gericht, wie man schon am Schild an der Tür sehen müsste.
Bis ins 19. Jahrhundert hinein gab es neben der staatlichen auch noch die kirchlichen, ständischen oder gutsherrlichen Gerichtsbarkeiten sowie die städtischen und ritterschaftlichen Patrimonialgerichtsbarkeiten, und deren letzte Überbleibsel fielen nach dem 1879 neuen GVG weg. Ab 1919, spätestens 1949 war eine solche Vorschrift aber schon lange nicht mehr notwendig, weil sie nichts anderes gesagt hätte als Art. 103 WRV bzw. Art. 92 GG.
Der alte §15 führte also 1879 keineswegs die staatliche Gerichtsbarkeit ein – die gab es schon lange. Vielmehr schaffte er die nichtstaatliche Gerichtsbarkeit ab. Durch seine Streichung im Jahre 1950 wurde die staatliche Gerichtsbarkeit genau so wenig abgeschafft wie die geistliche, gutsherrliche usw. wieder eingeführt wurde. Es wurde einfach darauf verzichtet, etwas festzulegen, was schon lange selbstverständlich war, nämlich das Rechtsprechungsmonopol des Staates.
Kirchen oder Vereine haben durchaus eine interne, also private Gerichtsbarkeit, die aber nur für ihre Mitglieder gilt. Ihrer Jurisdiktion kann man sich durch Austritt jederzeit entziehen. Bei der staatlichen Justiz geht das nicht so einfach.
Das meinte ich nicht. Aber danke für die Ausführungen.
Was ich meinte: Kannst du dir (für die Gegenwart und Zukunft) vorstellen, neben den staatlichen Gerichten für Staatsangestellte auch zivilgesellschaftliche Gerichte für die Nichtstaatsangestellten zu haben? Kannst du dir überhaupt vorstellen, die Rechtssprechungskompetenzen des Staates auf seine Bediensteten zu beschränken? Kannst du dir überhaupt außerstaatliches Recht als funktionierend vorstellen?
„Kannst du dir … vorstellen, neben den staatlichen Gerichten für Staatsangestellte auch zivilgesellschaftliche Gerichte für die Nichtstaatsangestellten zu haben? Kannst du dir überhaupt vorstellen, die Rechtssprechungskompetenzen des Staates auf seine Bediensteten zu beschränken?“
Du verwechselst die allgemeine Rechtsprechung mit dem Dienstrecht; das gilt für Beamte und Angestellte oder andere Leute, die für eine Behörde arbeiten, aber natürlich nur für die. Wenn es um die Anwendung allgemeinen staatlichen Rechts geht, müssen das staatliche Gerichte tun, keine privaten.
Das allgemeine Rechtsprechungsmonopol des Staates erstreckt sich selbstverständlich nicht nur auf seine unmittelbar Bediensteten, sondern auf alle Menschen innerhalb seiner Jurisdiktion. Das sind in erster Linie alle, die sich im Inland aufhalten – Bürger und Ausländer. Der Arbeitgeber spielt dabei keine Rolle. Ein Beamter, der klaut, landet genau so vor dem Kadi wie ein Selbstständiger, ein Angehöriger einer privaten Firma oder jemand, der gar nicht erwerbstätig ist.
„Kannst du dir überhaupt außerstaatliches Recht als funktionierend vorstellen?“
Es funktioniert doch ausgezeichnet. Sportverbände, Kirchen, Parteien und private Organisationen aller Art haben eine interne Gerichtsbarkeit. Allerdings kann man jederzeit aus der Kirche oder dem Verein austreten, und dann haben deren Gerichte keine Gewalt mehr über einen. Auch kann man sich beim Vollzug von deren Urteilen nicht auf die Hilfe des Staates verlassen („Landtag beschließt: der Ball war drin!“). Die private Gerichtsbarkeit kann auch nicht über die Anwendung staatlicher Gesetze befinden.
Auch das Disziplinarrecht der Beamten kann man dem privaten Bereich zurechnen, weil es das Verhältnis zwischen Bedienstetem und Dienstherrn regelt. Nur dass der Dienstherr hier der Staat ist. Wenn aber ein Beamter in schwerwiegender Weise gegen seine Pflichten verstößt, kann er nach dem Disziplinarverfahren auch noch strafrechtlich belangt werden – woran man sieht, dass das zwei verschiedene Dinge sind.
Die Abschaffung der privaten Gerichtsbarkeit (siehe meinen Beitrag von gestern) war ein großer Fortschritt im Sinne der Rechtssicherheit. Der Bürger hatte wirklich einen Nutzen davon. Es wäre der allergrößte Blödsinn, sie in Frage zu stellen. Niemand wünscht sich wohl ernsthaft Zustände wie in kommunistischen oder anderen totalitären Ländern, wo Parteigremien oder „Nachbarschaftskomitees“ oder ähnliche Einrichtungen Strafen aussprechen und auch vollstrecken. Auch die in Teilen der USA früher verbreitete „Lynchjustiz“ war private Gerichtsbarkeit, weil der gesetzliche Richter die Urteilsfindung und auch die Vollstreckung des Urteils aus der Hand gab.
„Du verwechselst die allgemeine Rechtsprechung mit dem Dienstrecht;“
Nein, das verwechsele ich nicht. Du begreifst nicht, wovon ich rede.
„Wenn es um die Anwendung allgemeinen staatlichen Rechts geht, müssen das staatliche Gerichte tun, keine privaten.“
Der Staat hat in meinen Augen durch seine Rechtsveruntreuung jeden Anspruch auf das Rechtsmonopol verwirkt und gehört daher wieder auf rein internes Recht beschränkt.
„Das allgemeine Rechtsprechungsmonopol des Staates erstreckt sich selbstverständlich nicht nur auf seine unmittelbar Bediensteten, sondern auf alle Menschen innerhalb seiner Jurisdiktion.“
Dieses Monopol hat er meiner Auffassung nach gründlichst missbraucht. Daher muß dieses Monopol abgeschafft und wieder eine parallele zivilgesellschaftliche Jurisdiktion eingeführt werden – wie im Common Law.
„Es funktioniert doch ausgezeichnet. Sportverbände, Kirchen, Parteien und private Organisationen aller Art haben eine interne Gerichtsbarkeit.“
Nein, das meine ich nicht. Und ich denke, das weißt du auch. Ich meine (s.o.) allgemeine zivilgesellschaftliche Jurisdiktion, parallel zur staatlichen, mit entsprechend gegeneinander abgegrenzten Kompetenzen. Der Staat ist für alles zuständig, was in seinen Reihen an Pflichtverletzungen passiert. Die nichtstaatliche Zivilgesellschaft wieder für alles, was in ihren Reihen von Mensch zu Mensch von Rechtsverletzungen passiert.
„Auch das Disziplinarrecht der Beamten kann man dem privaten Bereich zurechnen, weil es das Verhältnis zwischen Bedienstetem und Dienstherrn regelt. Nur dass der Dienstherr hier der Staat ist.“
Entschuldigung, aber genau da liegt der Hase im Pfeffer. Der Staat ist nun mal kein privater Dienstherr. In dem Moment, wo er wie ein privater Unternehmer behandelt wird und er im Gegensatz zu diesem aber mit hoheitlichen Kompetenzen ausgestattet gegen Personen ohne solche Kompetenzen steht, und er obendrein über seine Gerichte in eigener Sache richtet und in bei der Vollstreckung seiner selbst gesprochenen Urteile alle nur denkbaren Vorrechte gegenüber der Zivilgesellschaft hat, kann von Recht doch keine Rede sein, sondern nur noch von Unrecht! Das Ergebnis sehen wir doch: Es wird vollkommen willkürlich geurteilt und hoheitlich gehandelt, ohne Rücksicht auf die eigenen Gesetze – und vor allem: ohne jegliche Kontrolle. Alles, was zählt, sind die Vorgesetzten und deren Anweisungen. Auf die Gesetze bis hin zum Grundgesetz wird gesch…
„Die Abschaffung der privaten Gerichtsbarkeit (siehe meinen Beitrag von gestern) war ein großer Fortschritt im Sinne der Rechtssicherheit.“
Für das Kapital und den Schutz seiner Investitionen, ja. Für die Menschen nicht. Seit der Französischen Freimaurerterror-Revolution gilt in Frankreich nur noch „staatliches“ Recht. Alle im Volk gewachsenen, tradierten Rechtsgrundsätze wurden abgeschafft. Dieses zentralistische Terrorsystem wurde dann mit Napoleon hier in D eingeschleppt. Das tradierte deutsche Rechtsempfinden (das viel mit dem angelsächsischen gemein hat) hat aber mit dem römischen Schubladen-Recht so gut wie nichts zu tun. Es beruht auf der Idee der Gemeinschaft und berücksichtigte bei der Rechtsprechung die Folgen des Urteils für die Gemeinschaft, in welcher der Streit auftrat. Im römischen Recht geht es nicht um Wahrheitsfindung oder gar um Gerechtigkeit zugunsten des Friedens in der Gemeinschaft. Es geht um abstrakte Krümelkackerei, die vom menschlichen Leben und von menschlichem Gerechtigkeitsempfinden nicht weiter entfernt sein könnte, wenn sie auf dem Mars vonstatten ginge.
„Der Bürger hatte wirklich einen Nutzen davon. Es wäre der allergrößte Blödsinn, sie in Frage zu stellen.“
Sehe ich völlig anders. Der Bürger hat nur Nutzen von monopolisierter Rechtssprechung, wenn sowohl Staat als auch Gerichtsbarkeit seiner Kontrolle unterliegen. Was beides nicht der Fall ist in der Bundesrepublik. Monopole sind immer schlecht für die Menschen. Immer. Auch in Sachen Rechtsprechung. Je größer das Gebiet, auf dem nach abstrakten „Sachverhalten“ zentral festgelegtes Recht gesprochen wird, desto geringer der Vorteil, sprich: das befriedigte Gerechtigkeitsbedürfnis für die Menschen in ihrer lokalen Lebenswirklichkeit.
„Niemand wünscht sich wohl ernsthaft Zustände wie in kommunistischen oder anderen totalitären Ländern, wo Parteigremien oder “Nachbarschaftskomitees” oder ähnliche Einrichtungen Strafen aussprechen und auch vollstrecken. Auch die in Teilen der USA früher verbreitete “Lynchjustiz” war private Gerichtsbarkeit, weil der gesetzliche Richter die Urteilsfindung und auch die Vollstreckung des Urteils aus der Hand gab.“
Das sind die einzigen Alternativen, die dir einfallen? Na, dann brauch ich mich nicht zu wundern. Ich bin dafür, daß die lokalen menschlichen Gemeinschaften selbst festlegen, welche Regeln bei ihnen gelten sollen und welche nicht. Sowenig ich von Demokratie als Staatsform halte, so viel halte ich davon auf lokaler Ebene. Wird halt büschen unsicherer, wenn wer investieren will. Aber sehr viel sicherer für die Menschen. Denn sie müssen vor Ort miteinander leben und werden ihre Rechtsprechung entsprechend vernünftig gestalten.
„Dieses Monopol hat er meiner Auffassung nach gründlichst missbraucht. Daher muß dieses Monopol abgeschafft und wieder eine parallele zivilgesellschaftliche Jurisdiktion eingeführt werden – wie im Common Law.“
Der Missbrauch einer Sache bedeutet ja nicht, dass die Sache an sich schlecht ist. Im Gegenteil – nur gute Sachen kann man missbrauchen. Bei schlechten Sachen ist der „Missbrauch“ schon der bestimmungsgemäße Gebrauch.
So etwas wie das „Common Law“ gibt es im angelsächsischen Rechtskreis. Auf dem Kontinent herrschte stets das vom römischen Vorbild geprägte „Civil Law“. Ich persönlich finde es besser, weil es mehr Rechtssicherheit bietet. Ein Engländer sieht das möglicherweise anders. Soll er. Bei uns kannst du dir für Civil Law überhaupt nichts kaufen, weil es das gar nicht gibt.
Aber auch in England musst du zum Richter gehen, um einen Anspruch durchzusetzen, den du auf Common Law gründest. Alles andere wäre Selbstjustiz. Die kann ja wohl wirklich keiner wollen.
„Der Staat ist nun mal kein privater Dienstherr. … Es wird vollkommen willkürlich geurteilt und hoheitlich gehandelt, ohne Rücksicht auf die eigenen Gesetze – und vor allem: ohne jegliche Kontrolle. Alles, was zählt, sind die Vorgesetzten und deren Anweisungen. Auf die Gesetze bis hin zum Grundgesetz wird gesch…“
Das kann man so sehen, muss man aber nicht. Jedenfalls ist keiner gezwungen, in den Staatsdienst zu treten, wenn das gar so schlimm ist. Wer es doch tut, muss eben das Dienst- und Disziplinarrecht anerkennen, so wie es ist. Jede Firma hat ja auch ihre internen Hausregeln. Denen kann man sich entziehen, indem man die Firma verlässt. Wenn dir die deutschen Gesetze nicht gefallen, dann musst du eben auswandern – und gerätst dabei aller Wahrscheinlichkeit nach vom Regen in die Traufe, denn überall woanders funktioniert es doch genauso.
„Seit der Französischen Freimaurerterror-Revolution gilt in Frankreich nur noch „staatliches“ Recht. Alle im Volk gewachsenen, tradierten Rechtsgrundsätze wurden abgeschafft.“
Und das war auch gut so, dass nicht mehr jeder Bischof oder Baron nach Lust und Laune seine Urteile sprechen konnte. Ein Common Law gab es in Frankreich nie, denn hier herrschte noch viel stärker als in Deutschland das römische Vorbild in der Staats- und auch Justizordnung.
Wenn wir wirklich Dinge wie die öffentliche Gerichtsbarkeit, Rechtseinheitlichkeit, Rechtssicherheit, Beteiligung der Öffentlichkeit an der Rechtsprechung, Pressefreiheit, Demokratie, Religionsfreiheit usw. usw. den Freimaurern verdanken, dann sei den Freimaurern mein herzlicher Dank. Gott schütze das Handwerk.
„Dieses zentralistische Terrorsystem wurde dann mit Napoleon hier in D eingeschleppt.“
Was viele Deutsche sehr begrüßten. Napoleon hat endlich den mittelalterlichen Muff aus Deutschland ausgetrieben und das Fenster aufgemacht, damit frische Luft hereinkommt. Das hatte fundamentale und sehr positive Konsequenzen. In vielen deutschen Regionen galt noch bis ins 20. Jahrhundert auf bestimmten Gebieten der Code Napoléon, weil es einfach kein deutsches Gesetz gab.
Was viele Deutsche nicht gerne hatten, war die Tatsache, dass Napoleon, selbst ein Produkt der Revolution, keinesfalls den Deutschen die französischen Freiheiten in voller Konsequenz brachte, sondern nur so weit, wie er es brauchte, um das Alte Reich kaputt zu machen. Ansonsten führte er sich auf wie jeder andere Besatzer auch. Die Deutschen erhoben sich 1813 gegen den französischen Imperialismus, keineswegs gegen die Ideale der Revolution. Deren Fortschritte sich ja auch die Franzosen noch mehrmals zurückerkämpfen mussten.
„Ich bin dafür, daß die lokalen menschlichen Gemeinschaften selbst festlegen, welche Regeln bei ihnen gelten sollen und welche nicht.“
Tun sie ja. Das nennt man auch Rechtsprechungsmonopol des Staates.
„Der Missbrauch einer Sache bedeutet ja nicht, dass die Sache an sich schlecht ist. Im Gegenteil – nur gute Sachen kann man missbrauchen. Bei schlechten Sachen ist der “Missbrauch” schon der bestimmungsgemäße Gebrauch.“
Da ist was Wahres dran. Danke für dieses Bonmot: Nur gute Sachen kann man mißbrauchen. Andererseits: Man kann auch schlechte Sachen bestimmungsgemäß gebrauchen, und dabei den Betroffenen weismachen, es handele sich um gute Sachen. Siehe Parteiendemokratie als Staatsform. Ich bevorzuge gute Sachen, die man möglichst wenig mißbrauchen kann. Der Mensch ist ein Gemeinschaftswesen. Er muß die Freiheit haben, das Leben in seiner Gemeinschaft auf der Basis von aus seiner Sicht bewährten Rechtsprinzipien im Detail selbst zu gestalten. Als da wären:
Jeder kann frei entscheiden, was er tun oder lassen will, solange er 1. die volle Verantwortung dafür übernimmt, 2. niemandem anderen nachweisbaren Schaden zufügt, 3. sich an ehrlich und offen vereinbarte Abmachungen hält und 4. den öffentlichen Frieden nicht stört.
„Auf dem Kontinent herrschte stets das vom römischen Vorbild geprägte “Civil Law”.“
Da muß ich mächtig was verpasst haben. Es war lediglich immer schon Kirchenrecht. Was logisch ist, weil die römisch-katholische Kirche ihren Ausgangs- und Fixpunkt in Rom hat. Und das Civil Law selbst als staatliches Recht gibt es erst seit der französischen Revolution 1789, wenn es auch seinen inhaltlichen Ursprung im römisch-katholischen Kirchenrecht bzw. bei Justinian hat. Es ist immer schon das Recht der Herrschenden in Europa, ein Herrschaftsinstrument, das den Menschen in möglichst vielen Details vorschreibt, was sie zu tun und zu lassen haben. Das Volksrecht bzw. das Rechtsempfinden der (sprachlich und kulturell) germanischen Völker hat einen völlig anderen Charakter, sehr ähnlich dem des im Common Law weiterlebenden angelsächsischen Rechts. Da geht es um konkrete Situationen und soziale Konstellationen, nicht um Gesetze, welche die Lebenswirklichkeit der Menschen niemals abbilden oder in dieser wirklich hilfreich sein können. Wirklich hilfreich sind Rechtsgrundsätze, die jeder Erstklässler verstehen und nachvollziehen kann. Da geht es um Wahrheits- und Gerechtigkeitsfindung (ja, ich wiederhole mich, aber das kann man nicht oft genug wiederholen), nicht um willkürlich am grünen Tisch festgelegte Gesetze, die nichts mit der Situation der Betroffenen zu tun haben, aber sie dennoch entscheiden sollen.
„Ich persönlich finde es besser, weil es mehr Rechtssicherheit bietet.“
Sag mal, wie ausgiebig bist du denn schon in den Genuß dieser Rechtssicherheit gekommen? So vor Gericht, meine ich? Du hast NULL Rechtssicherheit in diesem Rechtssystem, solange du nicht die nötigen Beziehungen zur Kaste der Rechtsvergewaltiger hast. Nullkommanull. Im besten Falle ist es reines Glücksspiel. Sagen selbst langjährige Richter, nachdem sie in Ruhestand gegangen sind. Und nicht wenige schämen sich in Grund und Boden, da mitmachen zu müssen, weil sie ja „nichts anderes gelernt“ haben und die Kohle halt stimmt. Rechtssicherheit. Ich lache mich scheckig. So sieht Rechtssicherheit für dich aus, ja? Rechtssicherheit hast du, wenn du in eine Gemeinschaft eingebunden bist, wo alle dich und deine Lebensumstände kennen und wo die Richter jederzeit abgesetzt werden können, wenn sie nicht gerecht im Sinne der Gemeinschaft urteilen. Alles andere ist Rechtssicherheit für Kapitalinvestitionen und Herrscher gegen das Volk. Weder Kapitalinhaber noch Herrscher müssen sich an Gesetze halten, wenn es ihnen nicht in den Kram paßt. Immer nur die Untertanen. Da hilft es auch nichts, wenn obendrüber steht: „Die beste Demokratie, die man für Geld kaufen kann“.
„Ein Engländer sieht das möglicherweise anders. Soll er.“
Ich bin kein Engländer. Und ich sehe das trotzdem ganz, ganz anders als du. Und nun?
„Bei uns kannst du dir für Civil Law überhaupt nichts kaufen, weil es das gar nicht gibt.“
Du meinst Common Law, nehme ich an. Richtig, strukturell ist sein hiesiges Äquivalent abgeschafft. Und bei der Codifizierung des Bürgerlichen Gesetzbuches gab es dennoch schwerwiegende Bedenken seitens renommierter Rechtsgelehrter, daß dieses bürgerliche Recht dem germanisch geprägten, eben an der Gemeinschaft orientierten Rechtsempfinden der Deutschen viel zu wenig gerecht wird, weil es viel zu sehr am römisch-abstrakten Rechtsverständnis klebt. Dieser Umstand ist sicherlich nicht zuletzt der Tatsache zu verdanken, daß zur Entstehungszeit des BGB auch in D das Großkapital die Macht hatte. Und dem Großkapital kann es gar nicht recht sein, wenn es mit Gemeinschaften statt mit Einzelpersonen konfrontiert wird. Das war damals nicht anders als heute.
„Aber auch in England musst du zum Richter gehen, um einen Anspruch durchzusetzen, den du auf Common Law gründest. Alles andere wäre Selbstjustiz. Die kann ja wohl wirklich keiner wollen.“
Wer redet denn von Selbstjustiz? Wenn zwei oder mehrere sich nicht einig werden können, muß immer eine am Streit selbst unbeteiligte Person (oder mehrere) ran, um Frieden zu schaffen. Die Frage ist doch , wie das geschieht. Geschieht es auf eine Weise, daß es mit Gewalt durchgesetzt werden muß? Z.B. bei „freier Beweiswürdigung“ durch den Richter, die der Willkür schon mal Tür und Tor öffnet? Oder per Urkundsprozeß, der in betrügerischer Absicht von einer Streitpartei eingeleitet wird, wo es doch um mündliche Absprachen geht, die nicht eingehalten wurden? Oder per Anwaltszwang, wobei der Anwalt seiner Kaste immer höher verpflichtet ist als seinem Mandanten und auch die guten Beziehungen zum Richter, mit dem er öfter zu tun hat als sein Mandant, im Eigeninteresse nicht „beschädigen“ will? Oder doch lieber von einem von der beobachtenden Gemeinschaft absetzbaren und damit zu gerechten Entscheidungen gezwungenen Richter, der das soziale Umfeld und womöglich sogar die Lebensgeschichte der Streitenden kennt und berücksichtigt? Oder von einer entsprechend gewählten 12er-Jury?
Wir haben es mit einem durch und durch korrupten System zu tun, und das römisch geprägte staatliche Recht ist das gezielt eingeführte, perfekte Instrument, um es an der Macht zu halten. Nicht umsonst sind römisches Recht und doppelte Buchhaltung beide von der römisch-katholischen Kirche eingeführt worden, einem anderen Machtapparat mit durchaus ähnlichen Interessen wie der weltliche Staat.
„Das kann man so sehen, muss man aber nicht. Jedenfalls ist keiner gezwungen, in den Staatsdienst zu treten, wenn das gar so schlimm ist.“
Das ist in jedem x-beliebigen bundesdeutschen Gerichtssaal so schlimm, ob es um Staatsbedienstete oder „Privatleute“ geht.
„Wenn dir die deutschen Gesetze nicht gefallen, dann musst du eben auswandern …“
Den Spruch kenn ich schon mein ganzes Leben: Dann geh doch rüber. Nein, mache ich nicht. Ich will ändern, was hier passiert. Und zwar an der Wurzel. Weil es auch mein Land ist.
„„Alle im Volk gewachsenen, tradierten Rechtsgrundsätze wurden abgeschafft.”
Und das war auch gut so, dass nicht mehr jeder Bischof oder Baron nach Lust und Laune seine Urteile sprechen konnte.“
Bischöfe und Barone sprachen als Herrscher in ihrem Eigeninteresse Recht, das hat mit tradiertem Volksrecht und dem Gerechtigkeitsempfinden der Menschen nichts zu tun.
„Ein Common Law gab es in Frankreich nie, denn hier herrschte noch viel stärker als in Deutschland das römische Vorbild in der Staats- und auch Justizordnung.“
Es lag mir wirklich fern, Frankreich als ein leuchtendes Beispiel herauszuheben. Eher als nächstliegende Quelle des Übels hier in D.
„Wenn wir wirklich Dinge wie die öffentliche Gerichtsbarkeit, Rechtseinheitlichkeit, Rechtssicherheit, Beteiligung der Öffentlichkeit an der Rechtsprechung, Pressefreiheit, Demokratie, Religionsfreiheit usw. usw. den Freimaurern verdanken, dann sei den Freimaurern mein herzlicher Dank. Gott schütze das Handwerk.“
Wie lautet noch gleich der Spruch unter Juristen? „80% der Deutschen glauben an den deutschen Rechtsstaat. Der Rest hatte schon damit zu tun.“ Schön, daß du so zufrieden bist mit den Verhältnissen. Du hältst allen Ernstes Rechtssicherheit, Pressefreiheit und Demokratie im Sinne von Volksherrschaft für gegeben?
„In vielen deutschen Regionen galt noch bis ins 20. Jahrhundert auf bestimmten Gebieten der Code Napoléon, weil es einfach kein deutsches Gesetz gab.“
Es braucht auch keine Gesetze, wenn die Menschengemeinschaft selbst die Quelle ihres Rechts ist. Nur wenn man die menschliche Gemeinschaft als Rechtsquelle ausschalten will, braucht man Gesetze. Und wer hat Interesse daran, die menschliche Gemeinschaft als ihre eigene Rechtsquelle auszuschalten? Nicht die menschliche Gemeinschaft, soviel ist mal sicher.
„Die Deutschen erhoben sich 1813 gegen den französischen Imperialismus, keineswegs gegen die Ideale der Revolution. Deren Fortschritte sich ja auch die Franzosen noch mehrmals zurückerkämpfen mussten.“
Es war ein Fortschritt für den Kapitalismus. Kapitalismus beruht auf Einzelinteressen und braucht daher ein Recht, das Einzelinteressen vor die der Gemeinschaft stellt. Soweit, so logisch. Gegenüber den mittelalterlichen Strukturen, die selbst nur noch wenig mit dem Rechtsempfinden freier Gemeinschaften zu tun hatten, sicher ein Fortschritt. Für die Menschheit aber ein Schritt weiter in die Barbarei der Zivilisation, noch weiter weg von ihrem ursprünglichen Gemeinschaftsrecht.
„“Ich bin dafür, daß die lokalen menschlichen Gemeinschaften selbst festlegen, welche Regeln bei ihnen gelten sollen und welche nicht.”
Tun sie ja. Das nennt man auch Rechtsprechungsmonopol des Staates.“
??? Jetzt zeig mir doch bitte mal die lokale Gemeinschaft in D, die selbst festlegt, ob das staatliche Rechtssprechungsmonopol bei ihnen gelten soll oder nicht.
„Der Mensch ist ein Gemeinschaftswesen. Er muß die Freiheit haben, das Leben in seiner Gemeinschaft auf der Basis von aus seiner Sicht bewährten Rechtsprinzipien im Detail selbst zu gestalten. Als da wären: Jeder kann frei entscheiden, was er tun oder lassen will, solange er 1. die volle Verantwortung dafür übernimmt, 2. niemandem anderen nachweisbaren Schaden zufügt, 3. sich an ehrlich und offen vereinbarte Abmachungen hält und 4. den öffentlichen Frieden nicht stört.“
Es hat in der Geschichte der Menschheit noch keine Gemeinschaft gegeben, in der es nicht übergreifende Abmachungen und Regeln gegeben hätte, siehe dein Punkt 3. Erst dadurch entsteht ja eine Gemeinschaft und unterscheidet sich von einer Ansammlung von Säulenheiligen.
„Es war lediglich immer schon Kirchenrecht. Was logisch ist, weil die römisch-katholische Kirche ihren Ausgangs- und Fixpunkt in Rom hat. “
Nein, es herrschte natürlich ein riesiger Unterschied zwischen staatlichem und kirchlichem Recht, obwohl ja in manchen Gegenden die Kirche auch die weltliche Macht ausübte (siehe die Fürsterzbischöfe von Würzburg und Salzburg sowie die übrigen 1803 säkularisierten geistlichen Herrschaften). Schon im Mittelalter kriegten sich Papst und Kaiser mächtig in die Haare um die Frage, wo die Grenze liegt (Investiturstreit).
„Du hast NULL Rechtssicherheit in diesem Rechtssystem, solange du nicht die nötigen Beziehungen zur Kaste der Rechtsvergewaltiger hast. “
Ja, oft empfiehlt sich der Beistand eines Anwalts. Deswegen wurde auch schon im 13. Jahrhundert der Anwaltszwang eingeführt. Ich würde ja auch nicht ganz alleine und immer meiner eigenen Nase nach auf den Mont Blanc steigen. Ein Bergführer oder eine erfahrene Gruppe hilft da schon sehr.
„Und ich sehe das trotzdem ganz, ganz anders als du. Und nun?“
Sollst du.
„Die Frage ist doch , wie das geschieht. Geschieht es auf eine Weise, daß es mit Gewalt durchgesetzt werden muß?“
Nun, die Rechtsprechung ist eben ein Teil der Staatsgewalt (!). Wenn alle Parteien einsichtig sind, braucht man eher wenig Zwang, und das scheint der Idealfall zu sein, der dir vorschwebt. Aber wenn einer nicht will, müssen eben Mittel vorhanden sein, die Entscheidung dennoch durchzusetzen.
Das Ideal der Gesellschaft, das du gerne hättest, hat offenbar viel mit dem der Urkommunisten zu tun. Es ist eine herrliche Idee – allerdings kann man es nur mit vollkommenen Menschen realisieren, die immer das Richtige tun und stets das Gemeinwohl dem Eigenwohl voranstellen. Solche Menschen gibt es aber leider nicht, schon die, die sich darum bemühen, sind wenige. Und wenn es sie gäbe, brauchte man eine solche Gesellschaftsordnung nicht mehr zu schaffen, weil alles von selbst funktionieren würde. Aber das wird so schnell nicht passieren.
Kein Staat macht die Menschen glücklich, aber dazu ist er auch nicht da. Glück kommt nicht par ordre du Mufti von oben. Der Staat soll vernünftige und stabile Rahmenbedingungen schaffen, innerhalb derer jeder im Bereich der Möglichkeiten für sein eigenes Glück sorgen kann.
„Du hältst allen Ernstes Rechtssicherheit, Pressefreiheit und Demokratie im Sinne von Volksherrschaft für gegeben?“
Ich habe darauf hingewiesen, dass diese Grundsätze durch die Französische Revolution erstmals zum Staatsziel erhoben wurden. Ideal realisiert wurden sie bisher weder in Frankreich noch irgendwo sonst auf der Welt. Aber wir sind der Sache heute immerhin deutlich näher als 1788.
„Es war ein Fortschritt für den Kapitalismus.“
Und das war auch gut so, denn damals war der Kapitalismus ein Fortschritt. Nämlich weg vom Feudalismus.
„Jetzt zeig mir doch bitte mal die lokale Gemeinschaft in D, die selbst festlegt, ob das staatliche Rechtssprechungsmonopol bei ihnen gelten soll oder nicht.“
D selbst ist diese Gemeinschaft. Man sagt auch „Staat“ dazu. Wir leben nicht im Regenwald, wo man von einem Dorf zum anderen zwei Tage mit dem Kanu fahren muss. Meine Verwandtschaft in München ist von mir in Berlin so weit entfernt wie das nächste Telefon, also eine Armlänge. Aus vielfältigen Gründen (nicht zuletzt militärischen) hat sich die Größe der Staaten da eingependelt, wo sie heute ist. Es wäre unzweckmäßig, wenn jedes Kaff sein eigenes Recht machen würde, außer auf den Gebieten, wo es das per Gesetz darf (kommunale Selbstverwaltung). 1834 wurde nach unendlichen Mühen der Deutsche Zollverein gegründet, und alle freuten sich riesig, dass man beim Handel zwischen Reuß Jüngere Linie und Reuß Ältere Linie jetzt keinen Zoll mehr zahlen musste. Willst du zurück nach 1833?
„Es hat in der Geschichte der Menschheit noch keine Gemeinschaft gegeben, in der es nicht übergreifende Abmachungen und Regeln gegeben hätte, siehe dein Punkt 3.“
Was hat mein Punkt 3 bitte mit „übergreifenden Abmachungen und Regeln“ zu tun? Was für übergreifende Abmachungen und Regeln meinst du beispielsweise, wenn du so waghalsig von „der Geschichte der Menschheit“ schreibst? Da musst du dich ja wohl sehr gut auskennen mit allen Völkern, Kulturen und Epochen und dem Stand der Forschung?
„Erst dadurch entsteht ja eine Gemeinschaft und unterscheidet sich von einer Ansammlung von Säulenheiligen.“
Eine Gemeinschaft entsteht nicht durch Abmachungen und Regeln, sondern durch koordinierte Interaktion von Individuen. Dazu braucht es keine „übergeordneten“ Abmachungen und Regeln, sondern nur den gemeinsamen Willen, gemeinsam zu überleben und entsprechendes Verhalten. Die einzigen stets geltenden übergeordneten Regeln sind dabei die Naturgesetze und ihre Auswirkungen.
„Nein, es herrschte natürlich ein riesiger Unterschied zwischen staatlichem und kirchlichem Recht, obwohl ja in manchen Gegenden die Kirche auch die weltliche Macht ausübte (siehe die Fürsterzbischöfe von Würzburg und Salzburg sowie die übrigen 1803 säkularisierten geistlichen Herrschaften). Schon im Mittelalter kriegten sich Papst und Kaiser mächtig in die Haare um die Frage, wo die Grenze liegt (Investiturstreit).“
Was ist denn das für eine seltsame Argumentation? Erst „nein“, dann das Zugeständnis „doch, natürlich“, das Ganze mit einem impliziten „aber“, das dann jedoch nicht folgt. Unter dem Strich gibst du mir recht, und um das zu verschleiern, schreibst du erst mal „nein“? Oder wie ist das zu verstehen?
„Ja, oft empfiehlt sich der Beistand eines Anwalts. Deswegen wurde auch schon im 13. Jahrhundert der Anwaltszwang eingeführt.“
Daß es einen Anwalt braucht, zeigt doch schon die Rechtsunsicherheit für den Einzelnen! Recht für Menschen beruht auf ganz einfachen Grundsätzen, die sich aus dem Zusammenleben der Menschen und dem gemeinsamen Überlebensziel ganz natürlich ergeben, und ist deshalb für jeden leicht zu verstehen und anzuwenden. Wenn Recht für Menschen nicht einfach zu verstehen und anzuwenden ist, weil es nicht für die Menschen da ist, sondern in Form von willkürlichen Gesetzen zur Errichung und Erhaltung von willkürlicher Macht dient, dann ist es kein Recht, sondern Machtinstrument. Wenn ich einen Anwalt brauche, bin ich von vornherein entmündigt und rechtlos und bekomme Recht nur noch willkürlich von anderen zugeteilt. Wenn ich meine Rechte und Pflichten kenne und diese mir auch niemand absprechen kann, weil sie für alle gelten, was soll ich dann mit einem Parasiten von Anwalt?
„Ich würde ja auch nicht ganz alleine und immer meiner eigenen Nase nach auf den Mont Blanc steigen. Ein Bergführer oder eine erfahrene Gruppe hilft da schon sehr.“
Dieser Vergleich von dir spricht Bände, kairo. Du kannst dir Recht offenbar nur als komplizierten Paragrafendschungel vorstellen, dessen Bewältigung eine ähnliche Herausforderung ist wie das Besteigen eines fast 5km hohen Berges.
„Nun, die Rechtsprechung ist eben ein Teil der Staatsgewalt (!).“
Nein, nicht notwendigerweise. Du setzt den totalen Staat voraus wie andere den strafenden Gott. Menschen brauchen keinen Staat, um zu existieren, genauso wenig wie sie einen strafenden Gott brauche. Aber der Staat braucht Menschen, um zu existieren. Wenn Menschen einen Staat brauchen, können sie ihn sich so gestalten, wie sie ihn haben wollen. Das ist ihr unveräußerliches Recht, weil kreatives Gestalten Teil des menschlichen Wesens ist, genau wie die Suche nach Wahrheit und Erkenntnis. Es ist das, was uns von fast allen Tieren unterscheidet. Der Mensch hat das Recht, das Ordnungsprinzip Staat zum Vorteil aller beteiligten Menschen zu verwenden. Er ist nicht verpflichtet zu ertragen, daß ihm im Namen des Staates dieses Recht abgesprochen wird.
Rechtsprechung ist nicht zwangsläufig Monopol und Teil der Staatsgewalt, sondern nur, solange die Menschen es dulden, daß nicht sie das Recht gestalten, sondern diejenigen, denen der Staat tatsächlich dient (derzeit Banken und Konzerne). Es ist KEINE Selbstverständlichkeit.
Ursprüngliche Quelle allen Rechts ist der Mensch, nicht der Staat! Und damit ist auch der Mensch oberste Instanz in Sachen Rechtsprechung, wenn er will.
„Wenn alle Parteien einsichtig sind, braucht man eher wenig Zwang, und das scheint der Idealfall zu sein, der dir vorschwebt. Aber wenn einer nicht will, müssen eben Mittel vorhanden sein, die Entscheidung dennoch durchzusetzen.“
Richtig, und zwar innerhalb der Gemeinschaft mit Mitteln der Gemeinschaft und im Interesse der Gemeinschaft. Nicht aus 1000km Entfernung von Leuten, die weder die Gemeinschaft noch deren Interessen oder die streitenden Parteien kennen.
„Das Ideal der Gesellschaft, das du gerne hättest, hat offenbar viel mit dem der Urkommunisten zu tun.“
Was soll denn das mit Urkommunismus zu tun haben? Wie es aussieht, bist du ein Vertreter der linearen Geschichtsbetrachtung. Dann können wir ja nur aneinander vorbeireden. Ich hantiere mit anderen Begriffen und Kategorien als du. Die olle Kamelle mit dem Urkommunismus habe ich eigentlich noch in der Schule hinter mir gelassen, als ich noch unter schwerstem marxistisch-leninistisch-stalinistischem Indoktrinationsbeschuß stand. Wie ich hier im Blog schon öfter schrieb: Es gibt menschliche Gesellschaften ohne staatliche Strukturen, die sehr gut funktioniert haben. Ein jüngeres Beispiel wären die skandinavischen Germanen vor Harald Schönhaar und der gleichzeitigen Einführung von Christentum und Staatsmacht (so ein Zufall aber auch!) durch ihn.
„Es ist eine herrliche Idee – allerdings kann man es nur mit vollkommenen Menschen realisieren, die immer das Richtige tun und stets das Gemeinwohl dem Eigenwohl voranstellen.“
Nein, es reichen freie Gemeinschaften mit engem Beziehungsgeflecht, die selbst über ihr Recht bestimmen. Die kommen dann auch mit unvollkommenen, selbstsüchtigen Menschen sehr gut klar.
„Der Staat soll vernünftige und stabile Rahmenbedingungen schaffen, innerhalb derer jeder im Bereich der Möglichkeiten für sein eigenes Glück sorgen kann.“
Stabile Rahmenbedingungen. Ah ja. Die hat man auch im Knast oder in der Klapse. Und wenn man sich daran gewöhnt hat, wird einem ganz schön angst und bange vor den „unstabilen Rahmenbedingungen“ da draußen in der Freiheit. Das geht doch gar nicht, wie soll man denn ohne „vernünftige und stabile Rahmenbedingungen“ glücklich werden können?
„Ich habe darauf hingewiesen, dass diese Grundsätze durch die Französische Revolution erstmals zum Staatsziel erhoben wurden.“
Mit der französischen Revolution wurde der totalen Staat und der totale Terror erfunden. Schön, daß du zugibst, daß die hehren Grundsätze, die angeblich das damalige Staatsziel waren, weder damals von den französischen Revolutionären noch von sonst jemandem seitdem umgesetzt wurden. Es steht immer nur auf der Fahne, die über der aktuellen Staatsterrorversion weht. Heutzutage stehen „Demokratie“ und „Menschenrechte“ drauf. Raffinierter geht es kaum.
„Aber wir sind der Sache heute immerhin deutlich näher als 1788.“
Oder 1789-94. Kairo, nur die Tabus und Methoden haben sich geändert. Die Staatslenker lernen schließlich dazu. Heute stürzt dein Flugzeug ab, dir explodiert dein Auto unterm Hintern, du erhängst dich 5m hoch im Park oder begehst sonst wie Selbstmord. Wenn du Glück hast, landest du nur in Knast oder Klapse. Wenn du Pech hast, berichtet niemand darüber und du versauerst dort.
„D selbst ist diese Gemeinschaft. Man sagt auch “Staat” dazu.“
Lokal, kairo, lokal ist das Stichwort. Und soziale Beziehungen, welche die Grundlage für befriedigtes Gerechtigkeitsbedürfnis sind.
„Wir leben nicht im Regenwald, wo man von einem Dorf zum anderen zwei Tage mit dem Kanu fahren muss. Meine Verwandtschaft in München ist von mir in Berlin so weit entfernt wie das nächste Telefon, also eine Armlänge.“
Deine Verwandtschaft ist nicht in deiner Nähe. Andere Beziehungen sind aber nachweislich nicht annähernd so belastbar wie Familienbande. Menschen, die nicht in alltägliche Familienverpflichtungen eingebunden sind, kann man besser für „höhere“ Zwecke benutzen. Sie sind „ungebunden“, was ein Euphemismus für „haltlos“ ist. Nicht aus Versehen arbeitet auch die Bundesrepublik konsequent an der Vereinzelung und Verunselbständigung der „ihrer Herrschaftsgewalt unterworfenen“ Menschen.
Man kann wie du aus dieser Not eine Tugend machen und sie sich schönreden. Man kann aber auch aussprechen, daß diese Not eine Not ist. Am Ende werden nur Familien überleben. Dazu gibt es Forschungen.
„Aus vielfältigen Gründen (nicht zuletzt militärischen) hat sich die Größe der Staaten da eingependelt, wo sie heute ist. Es wäre unzweckmäßig, wenn jedes Kaff sein eigenes Recht machen würde …“
Unzweckmäßig für welchen Zweck, bitte? Effiziente Bewirtschaftung und Verwaltung?
„1834 wurde nach unendlichen Mühen der Deutsche Zollverein gegründet, und alle freuten sich riesig, dass man beim Handel zwischen Reuß Jüngere Linie und Reuß Ältere Linie jetzt keinen Zoll mehr zahlen musste. Willst du zurück nach 1833?“
Wenn Zoll dein Argument für Staaten und Gesetze ist, dann gibst du damit implizit zu, daß es um Kapitalinteressen, sprich Freihandel geht. Zoll war eine bequeme Einnahmequelle unproduktiver Herrscher in den einzelnen deutschen Ministaaten – wovon Schutzzölle fein säuberlich zu unterscheiden sind. Erstere dienen den Interessen unproduktiver Herrscher. Letztere dienen den produktiven Gesellschaftsschichten. Schutzzölle schützen, wie der Name schon sagt, das Geflecht aus einheimischer Produktion und Versorgung vor dem was passiert, wenn keine Schutzzölle erhoben werden. Dir wird sicher bekannt sein, was passiert ist, als 1846 die englischen Korngesetze, die genau solche Schutzzölle festlegten, abgeschafft wurden? Möchtest du zurück zu Not und Elend für alle? Freihandel garantiert das.
Nochmal zur Klarstellung: Man braucht einen Staat, wenn man sich gegen Staaten durchsetzen muß. Aber dieser Staat muß den Menschen dienen, nicht ihren Versklavern.
Dein Ideal gefällt mir. Aber es ist lebensfremd. Wir leben heute in Europa eben nicht mehr in der Zeit, als die Germanen oder Kelten eine Vielzahl mehr oder weniger eigenständiger Gruppen und Grüppchen bildeten, die nur lose durch Handel miteinander verbunden waren. Man könnte auch die USA von heute nicht mehr nach dem Muster der nomadisierenden Prärieindianer verwalten.
Die Indianer selbst entwickelten ja sofort hochkomplexe Staatsstrukturen, sobald sie sesshaft und zahlreich wurden. So geschehen im Mississippital und vor allem natürlich in Mittelamerika. Auch die Griechen schufen zwar in der Antike keinen Nationalstaat, aber lebten in Stadtstaaten, die deutlich über den Rahmen eines Dorfes hinausgingen. Und überall in solchen Strukturen muss es allgemein verbindliche Regeln geben, sog. Gesetze, und die Mittel, sie auch durchzusetzen. Diese Notwendigkeit entstand beim Übergang von der Alt- zur Jungsteinzeit, und ich möchte die Zeit nicht zurückdrehen.
„Dein Ideal gefällt mir. Aber es ist lebensfremd.“
Beliebter Schachzug. Einfach alle Argumente durch pauschales Abqualifizieren wegwischen, anstatt dich mit den aufgezeigten Schwachstellen deiner Argumentation auseinanderzusetzen.
Die gesellschaftlichen Verhältnisse, die wir heute in der westlichen Welt haben, die sind so lebensfremd wie noch nie in der Menschheitsgeschichte. Und es gibt viele Leute, die möchten nicht mehr so leben und andere Verhältnisse schaffen. Nichts, was gelebt wird, ist lebensfremd. Es muß nur jemand tun.
„Wir leben heute in Europa eben nicht mehr in der Zeit, als die Germanen oder Kelten eine Vielzahl mehr oder weniger eigenständiger Gruppen und Grüppchen bildeten, die nur lose durch Handel miteinander verbunden waren. Man könnte auch die USA von heute nicht mehr nach dem Muster der nomadisierenden Prärieindianer verwalten.“
Wer sagt denn, daß ich den gesellschaftlichen Status quo pflegen möchte? Geht das irgendwo aus meinen hier im Blog gemachten Äußerungen hervor? Wohl kaum. Was sind denn die USA von heute? Was ist denn unser gegenwärtiger entfesselter und vorrangig dem Finanzkapital dienender BRD-Verwaltungsapparat? Beides große Menschenbewirtschaftungsanlagen. Der „Bürger“ als Objekt, als verfügbares Humankapital, beliebig verwalt-, verschieb- und verwertbare Ressource des Finanzkapitals, der Mensch reduziert auf seine wirtschaftliche Verwendbarkeit. Fehlt nur noch der Babyshredder als letzte Konsequenz unserer gesellschaftlichen Verhältnisse. Kükenshredder gibt es ja schon.
In der Tat, man könnte dieses monströs kranke System nicht nach dem Muster der nomadisierenden Prärieindianer oder dem der freien germanischen Gemeinschaften aufrechterhalten. Beide sind von ihrem Wesen her diametral entgegengesetzt: Niemand hat Befehle zu erteilen. Alle Gefolgschaft, alle Teilnahme ist freiwillig. Was jeder Einzelne tut und läßt, betrifft im Bewußtsein aller nicht nur ihn oder seine unmittelbaren Angehörigen, sondern immer die gesamte Gemeinschaft. Daher ist die Gemeinschaft auch der Richter des Einzelnen.
Verdammt schlechte Grundlage für persönliche Machtinteressen, so was. Es hat ja keiner Macht. Es geht die ganze Zeit darum, sich hervorzutun und durch seine Taten das Ansehen seiner Mitmenschen zu gewinnen. Es wiegt das Wort des Geachteten schwerer als das des Verachteten. Aber wie gewogen wird, entscheidet niemand per Gesetz. Ansehen muß man sich verdienen, und man kann dieses Ansehen und den dadurch gewonnenen Einfluß in der Gemeinschaft im Handumdrehen auch wieder verlieren. Das funktioniert ganz ohne Gesetze, direkt an den Herzschlag des gemeinsamen Lebens gekoppelt.
„Die Indianer selbst entwickelten ja sofort hochkomplexe Staatsstrukturen, sobald sie sesshaft und zahlreich wurden. So geschehen im Mississippital und vor allem natürlich in Mittelamerika.“
Du verallgemeinerst unzulässigerweise. Von der Hopewell-Kultur im Mississippi-Tal (ich nehme an, die meinst du), ist keineswegs bekannt, wie sie sozial strukturiert war. Es gibt diverse Theorien, aber kein konkretes Wissen zu diesem Aspekt. Bis vor kurzem war man sogar noch der Meinung, es habe sich um reine Jäger-Sammler-Gruppen gehandelt. Großbauten allein sind also kein Beweis für die Seßhaftigkeit oder gar den Staatscharakter einer Gesellschaft, wie auch und insbesondere Göbekli Tepe zeigt.
Die Hochkulturen in Mittel- und Südamerika und deren mediale Darstellung sind mir suspekt. Seit ich weiß, wie sehr auch auf dem Gebiet der Geschichtswissenschaft mit ideologischen Scheuklappen sortiert, interpretiert und publiziert wird und „Häretiker“ ausgegrenzt und medial totgeschwiegen werden, weigere ich mich, das vorgegebene weltfremde und staatsapologetische Menschheitsgeschichtsbild auch nur als potentielle Wahrheit zu akzeptieren. Weltfremd insofern, als es von einem gezielt propagierten Menschenbild ausgeht, das den Erkenntnissen beispielsweise der Quantenphysik in keiner Weise Rechnung trägt.
Davon abgesehen: Was ist mit den Irokesen? Die waren auch über Jahrhunderte seßhaft in befestigten Dörfern, betrieben Acker- und Gartenbau und entwickelten dabei keineswegs Staatsstrukturen. Wenn Seßhaftigkeit und Ackerbau zwangsläufig Staatsstrukturen hervorbringen würden, müßte sich dieses vermeintliche Notwendigkeit doch recht unverzüglich ergeben?
„Auch die Griechen schufen zwar in der Antike keinen Nationalstaat, aber lebten in Stadtstaaten, die deutlich über den Rahmen eines Dorfes hinausgingen.“
Die alten Griechen übernahmen das Prinzip der Stadtstaaten aus Mesopotamien. Und Mesopotamien scheint, was die „herrschende Meinung der Fachwelt“ anbelangt, ebenfalls ein deutlicher Scheuklappenfall zu sein.
„Und überall in solchen Strukturen muss es allgemein verbindliche Regeln geben, sog. Gesetze, und die Mittel, sie auch durchzusetzen.“
Ohne Zweifel braucht es Regeln im menschlichen Zusammenleben. Das bestreite ich ja gar nicht – ich habe Familie. Verbindliche Regeln erzwingen aber noch lange keine Machtstrukturen! Sie sind auch mitnichten dasselbe wie Gesetze.
Gesetze sind gesetztes Recht. Gesetze macht jemand, der Macht ausübt. Wenn jemand Macht ausüben darf, handelt es sich schon um keine freie Gemeinschaft mehr.
Innergemeinschaftliches Recht wird von der Gemeinschaft gestaltet und permanent ihren Bedürfnissen angepaßt. Es ist ihr nicht (vor-)gesetzt, sondern sie erschafft es selbst. Und wenn schon ein Staat vonnöten ist, um die notwendige Widerstandsfähigkeit (= gebündelter und einheitlich ausgerichteter Menschenwille) gegen andere Staaten zur Verfügung zu haben, dann muß dieser Staat aber auch von seinen Schöpfern kontrollierbar sein und nicht ein hochgezüchtetes, fremdgesteuertes Frankensteinmonster wie momentan.
„Diese Notwendigkeit entstand beim Übergang von der Alt- zur Jungsteinzeit, und ich möchte die Zeit nicht zurückdrehen.“
Lineares Geschichtsdenken, sag ich doch. Eine völlig andere – und völlig lebensfremde ^^ – Perspektive.
Der Mensch ist der Mensch.
Er ist, was er sein will.
Er lebt, wie er leben will.
Er erschafft, was er erschaffen will.
Seine Lebensbedingungen sind, wie er sie gestaltet.
Wann immer er will.
Zeit und Raum sind eine Illusion, eine virtuelle Spielwiese, um sich auszuprobieren und immer wieder neu zu erfinden. – Spätestens hier verabschiedest du dich wieder. 😉
Der Mensch hat nie barbarischer gelebt als heutzutage, kairo. Eine Rückkehr in „unzivilisierte“ Verhältnisse kann schon deshalb keine schlechte Entscheidung sein.
Deine Utopie beruht auf der Zersplitterung der Gesellschaft in kleine, isolierte Gruppen. Das widerspricht der menschlichen Natur und wurde bisher stets nur da praktiziert, wo die menschen wirklich durch die natürlichen oder sonstigen Umstände in kleine, isolierte Gruppen zersplittert waren. Vom Amazonas-Regenwald mal abgesehen ist das heute auf der Welt kaum noch der Fall. Schon allein die Existenz der modernen Kommunikationsmittel (Internet) lässt das nicht zu.
„Der Mensch hat nie barbarischer gelebt als heutzutage, kairo.“
Und sinnentleerter und geisteskranker!
„Deine Utopie beruht auf der Zersplitterung der Gesellschaft in kleine, isolierte Gruppen.“
Absolut nicht. Das ist eine unberechtigte Unterstellung deinerseits, die nachweislich falsch ist, denn ich habe nirgends etwas von Isolation geschrieben. Meine Utopie beruht auf Unterteilung der Gesellschaft in kleine, kommunikativ und politisch miteinander vernetzte Gruppen, innerhalb derer die Entscheidungen getroffen und über gewählte Vertreter in übergeordnete Ebenen weitergereicht werden, und die als Gruppe entscheiden, ob sie höher getroffene Entscheidungen mittragen oder nicht. Diese gesellschaftliche Struktur hemmt Monopolbildung jeglicher Art. Die gegenwärtige Gesellschaftsstruktur fördert Monopolbildung auf sämtlichen Gebieten. Daher hat sie natürlich größtes Interesse, Gesellschaftsformen wie die von mir beschriebene als utopisch, lebensfremd und unzweckmäßig abzuqualifizieren. Warum befürwortest du persönlich Monopolstrukturen? Hast du dich das schon einmal gefragt?
Das diametrale Gegenteil vom willkürlich, weil zunehmend verantwortungsfrei agierenden Machtapparat ist vielleicht die kleine, isolierte Gruppe, aber die Extreme sind doch nicht die einzigen Gestaltungsmöglichkeiten! Wir haben heute ein technologisches Niveau, das Isolation so gut wie unmöglich macht, und ein Wissen über die vielen gesellschaftlichen Spielarten, die in der Menschheitsgeschichte schon mit oft bekannten Folgen ausprobiert wurden, das uns umfassend wie nie zur Verfügung steht. Kleine Gruppen mit voller Entscheidungskompetenz können sich heute bequem und ziemlich effektiv vernetzen und in mehreren Entscheidungsebenen organisieren, ohne daß an der Basis Entscheidungskompetenz abgegeben werden MUSS.
„Das widerspricht der menschlichen Natur und wurde bisher stets nur da praktiziert, wo die menschen wirklich durch die natürlichen oder sonstigen Umstände in kleine, isolierte Gruppen zersplittert waren.“
Was die menschliche Natur ist, darüber läßt sich natürlich trefflich streiten. Die Antwort darauf hängt sehr vom persönlichen Welt- und Menschenbild ab.
Aber deine Behauptung, daß mit Seßhaftwerdung und Ackerbau Staatenbildung mit Machtungleichgewicht und Gesetzen gewissermaßen logisch sich ergebende Notwendigkeit ist, hast du hier bis jetzt nicht fundiert belegt. Daß Seßhaftigkeit und Ackerbau auch gemeinsam mit Staatswesen auftreten, bestreite ich nicht – nur, um einer solchen Behauptung deinerseits gleich mal vorzubeugen. Ich bestreite aber die zwingende Notwendigkeit des Staates für das friedliche Zusammenleben größerer Menschengruppen. Der Staat ist lediglich Machtinstrument zugunsten von Eliten, genau wie Religion. Er ist nicht die einzige Möglichkeit, Er ist nicht die einzige Möglichkeit, in großen Menschengruppen Recht und Ordnung zu schaffen.
„Der … ist nicht die einzige Möglichkeit, in großen Menschengruppen Recht und Ordnung zu schaffen.“
Der Staat ist ganz einfach die gesellschaftliche Ordnung einer großen Menschengruppe. Gestalte ihn, wie du willst, du hast immer so etwas.
„Der Staat ist ganz einfach die gesellschaftliche Ordnung einer großen Menschengruppe. Gestalte ihn, wie du willst, du hast immer so etwas.“
Das ist aber eine seltsame Definition. Soweit mir bekannt ist, zeichnen sich staatliche Strukturen dadurch aus, daß die Gruppe gespalten ist in jene, die bestimmen und ihren Willen mit Gewalt durchsetzen, also Macht ausüben, und jene, die gehorchen müssen, also Gewalt erleiden und Macht erdulden müssen. Das hat weder direkt mit der Lebensweise noch mit der Gruppengröße zu tun. Deshalb kann man staatliche Strukturen durchaus auch bei nomadisierenden Stämmen finden, oder in anderen kleineren Gruppen. Was aber eben nicht heißt, daß staatliche Strukturen die gesellschaftliche Ordnung aller nomadisierenden Stämme sind.
Ursache des Staates sind meines Erachtens weder Lebensweise noch Gruppengröße der Menschen, sondern ihr Weltbild. In den Weltbildern der Hochkulturen gibt es regelmäßig einen höchsten, strafenden Gott. Dessen Repräsentanten bzw. Mittler beanspruchen dann eine entsprechende höchste Position in der Gemeinschaft, und es kommt zu staatlichen Strukturen, legitimiert durch das entsprechende Weltbild. Wenn du dir die allerersten Stadtstaaten der Menschheitsgeschichte in Sumer anschaust, dann liegt da vieles im Dunkeln. Bis heute weiß man nicht, woher die Sumerer kamen. Weder gibt es Anzeichen, daß sie eingewandert sind, noch gibt es Belege, daß sie aus einheimischer Bevölkerung hervorgegangen sind. Aber sie waren nachweislich der Ursprung des Herrschaftsgedankens in der menschlichen Gesellschaft.
Meines Wissens ist es ziemlich unbestritten, daß die Idee von Göttern, die Gehorsam von den Menschen fordern, bei ihnen angefangen hat. Mit allen sich daraus ergebenden gesellschaftlichen Konsequenzen, an denen wir uns heute noch ergötzen dürfen und die du voller Überzeugung als unbedingt notwendig verteidigst. Auch das Christentum, das ideologische Fundament der modernen westlichen Hochkultur ist nur ein Ableger der später über die semitische Sprache aus Sumer weitergetragenen Herrschaftsidee (u.a. auch ins alte Ägypten z.B. ^^).
Organisieren und Verwalten kann man auch ohne Staat. Allerdings nicht mit den heutigen unselbständigen Staatssklaven, die systematisch in Angst gehalten und zu unbedingter Staatsgläubigkeit erzogen werden. Die glauben alles, was man ihnen eintrichtert. Die wollen auch gar nicht anders leben.
Die anderen, die wissen, daß man als Mensch nur etwas anderes wollen muß, um es möglich zu machen, die leben teilweise jetzt schon, wie es anderes geht, oder beginnen, es zu tun.
Ich denke, an dieser Stelle endet unsere Diskussion vernünftigerweise. Denn über Glaubensfragen kann man nicht sinnvoll diskutieren. Du glaubst an die Unverzichtbarkeit des Staates, ich nicht.
Ciao, bello.
„Soweit mir bekannt ist, zeichnen sich staatliche Strukturen dadurch aus, daß die Gruppe gespalten ist in jene, die bestimmen und ihren Willen mit Gewalt durchsetzen, also Macht ausüben, und jene, die gehorchen müssen, also Gewalt erleiden und Macht erdulden müssen.“
Einspruch, Euer Ehren. Dieses Bild vom Staat ist verengt und ist ein bloßes Feindbild. Dagegen lässt sich trefflich kämpfen.
Ja, kämpf mal trefflich. Aber mit Argumenten bitte, nicht mit Behauptungen.
Inwiefern ist das von mir beschriebene Bild vom Charakter staatlicher Strukturen verengt? Woraus schließt du, daß es sich um ein „bloßes Feinbild“ handelt? Wer wäre denn der Antagonist, der dieses „Feindbild“ aufbaut?
„Ja, kämpf mal trefflich. Aber mit Argumenten bitte, nicht mit Behauptungen.“
Du bist doch hier die große Kämpferin gegen das von dir beschriebene Staatsbild.
„Inwiefern ist das von mir beschriebene Bild vom Charakter staatlicher Strukturen verengt?“
Indem du unter „Staat“ ein reines Unterdrückungsverhältnis verstehst. Tatsache ist vielmehr: „Der Staat ist ganz einfach die gesellschaftliche Ordnung einer großen Menschengruppe.“ Falls das noch nicht gesagt wurde.
Und Ordnung ist ja nicht per se schlecht, im Gegenteil. Schon in einer Familie muss eine gewisse Ordnung herrschen. Wobei ich die aber wegen ihrer Größe noch lange nicht als Staat ansehen würde. Aber überall, wo Menschen erfolgreich zusammenwirken wollen, muss eine Ordnung herrschen, ob in einer Küche, einem Verein, einer Firma oder einem Weltreich. Diese Ordnung kann durch Unterdrückung hergestellt werden (und wird auch oft), muss aber nicht.
„Wer wäre denn der Antagonist, der dieses “Feindbild” aufbaut?“
Na, such ihn mal.
„Du bist doch hier die große Kämpferin gegen das von dir beschriebene Staatsbild.“
Ich kämpfe nicht gegen den das gleichgerichtete Handeln von zig Millionen Menschen. Ich reflektiere bei Gelegenheit darüber, und ich handele anders als die zig Millionen. Wenn das für dich Kämpfen ist, dann meinetwegen. Ansonsten vergeude ich nicht mehr meine Kraft, indem gegen etwas kämpfe. Ich habe das bundesdeutsche „Rechtssystem“ schon in Aktion gesehen.
„Indem du unter “Staat” ein reines Unterdrückungsverhältnis verstehst. Tatsache ist vielmehr: “Der Staat ist ganz einfach die gesellschaftliche Ordnung einer großen Menschengruppe.” Falls das noch nicht gesagt wurde.“
Du belegst deine Behauptung mit der Wiederholung deiner Behauptung und deklarierst sie als Tatsache. Das sind deine Argumente?
Hier meine: Schau bitte mal genau hin, was der grundlegende soziologische Unterschied ist zwischen Staat und Nichtstaat. Die übliche Jelinek-Definition ist auf das moderne Staatsrecht ausgerichtet, nicht auf die Merkmale der Organisationsformen menschlichen Zusammenlebens.
Es gibt genau zwei verschiedene Grundformen des menschlichen Zusammenlebens: nämlich vorstaatliche und staatliche Verhältnisse. Der Übergang von der vorstaatlichen Gemeinschaft zur staatlichen Gesellschaft findet im Moment der Machtübernahme durch eine Gruppe gegen eine andere statt. Ab diesem Moment ist Macht überhaupt erst ein soziologisches Thema. Das kann durch externe Ereignisse geschehen, z.B. der Einfall von aggressiven anderen Gruppen, welche sich die andere Gruppe mit Gewalt gefügig machen und fortan mit Gewalt unterdrückt halten, indem sie ihnen ihr Recht wegnehmen und durch ihr eigenes ersetzen. Das kann ein hauptsächlich gier- und testosterongetriebener Vorgang sein (z.B. bei Dschingis Khan) oder z.B. ein religiös verbrämter („missionierender“ Monotheismus beliebiger couleur).
Oder es geschieht durch einen internen soziologischen „Quantensprung“, wenn sich in der Gemeinschaft eine Gruppe bildet, welche Machtansprüche stellt, gegen die der Rest der Gruppe aus irgendeinem Grund sich zu wehren nicht in der Lage ist. Einmal eingeführte Macht-, also Gewaltverhältnisse lassen sich nur in glücklichen Konstellationen ohne Gewalt wieder beseitigen. Das wäre z.B. beim Auftreten eines charismatischen Anführers der Fall (z.B. Hiawatha, Gandhi).
Aber die Etablierung von Machtverhältnissen in einer menschlichen Gemeinschaft ist gewissermaßen die Wasserscheide zwischen Nichtstaat und Staat. Das ist die Wurzel, der Punkt, an dem die Gruppe von vorstaatlichen in staatliche Strukturen kippt. Wenn die Gruppe Gewalt zur Durchsetzung von Eigeninteressen gegen die Gruppe hinnimmt (oder wegen Unterlegenheit gegenüber eindringenden Gewalttätern hinnehmen oder untergehen muß), schaufelt sie ihrer Ungeteiltheit das Grab. Einmal etabliert, ist Gewalt als Form des Umgangs miteinander nur schwer wieder zu beseitigen. Das ist auch, was die Vertreter der staatlichen Welt bei der Eroberung der nichtstaatlichen Welt überhaupt nicht begreifen konnten: Es muß doch einen geben, dem die anderen gehorchen! Es muß doch einen geben, der über die anderen herrscht! Der Häuptling kann doch nicht nichts zu sagen haben! Er ist doch der Häuptling!
Kairo, das sind zwei komplett verschiedene, sich gegenseitig kompromißlos ausschließende menschliche Lebensweisen, die auf komplett verschiedenen Umgangsformen miteinander beruhen. Wie wir die Welt betrachten, ist der Schlüssel zu allem. Jeder neue Blickwinkel, jedes neue Kategoriensystem ist eine Bereicherung und ein Schritt auf dem Weg zur Erkenntnis der Wahrheit. Und der Mensch hat immer die Wahl, wie er die Welt betrachten will und wie er mit anderen leben will.
„Und Ordnung ist ja nicht per se schlecht, im Gegenteil. Schon in einer Familie muss eine gewisse Ordnung herrschen. … Aber überall, wo Menschen erfolgreich zusammenwirken wollen, muss eine Ordnung herrschen, ob in einer Küche, einem Verein, einer Firma oder einem Weltreich.“
Du tust es schon wieder. Du unterstellst mir, etwas gegen geordnete Strukturen zu haben, nur weil ich den Staat nicht als einzig mögliche Organisationsform großer Menschengruppen akzeptiere. Du betrachtest die Welt mit dem Blick der europäischen Eroberer: Alle Ordnung kann nur staatlich sein, kann nur fest definierte Bestimmer und Gehorcher beinhalten. Gleichzeitig schmeißt du Hierarchie und Ordnung in einen Topf, indem du ausschließlich (vermeintlich) hierarchische Ordnungsformen mit Befehlskette von oben nach unten für möglich hältst, wie an deiner Aufzählung von Ordnungsbeispielen deutlich wird.
„Diese Ordnung kann durch Unterdrückung hergestellt werden (und wird auch oft), muss aber nicht.“
Na, da sind wir uns ja doch mal einig. Nun nenne mir doch bitte mal einen Staat, der nicht durch Unterdrückung, der also ohne jede Gewalt oder Gewaltandrohung hergestellt und durchgesetzt wurde.
„“Wer wäre denn der Antagonist, der dieses “Feindbild” aufbaut?”
Na, such ihn mal.“
Ich baue kein Feindbild auf. Ich versuche, die Ursachen für die gegenwärtigen Verhältnisse zu finden und bin dabei offen für alle Argumente, die nicht nur Behauptungen sind, sondern sich mit Beispielen aus der bisherigen Menschheitsgeschichte und konkreter Lebenserfahrung belegen lassen.