Beim Erklärungsversuch der Freeman-Sicht auf den Staat kam mir der Vergleich mit einem riesigen Aquarium in den Sinn.
Metapher für den Staat sind Wassergeister – beides gewissermaßen ideelle Körperschaften. Wassergeister können nur im Wasser, in ihrem Element sein. Außerhalb des Wassers gibt es sie nicht. Der Mensch kann nicht unter Wasser leben, da er Luft zum Atmen braucht. Er nur kann mit künstlichen Hilfsmitteln unter Wasser leben.
Meine Geschichte geht so:
Luft, Erde, Feuer und Wasser stehen den Menschen von Natur aus zur Verfügung. Die Menschen erlauben nun den Wassergeistern, dieses Vermögen für sie zu verwalten, damit mehr Ordnung ins Leben kommt und „Rechtssicherheit“ herrscht. Die Menschen bauen ein großes Aquarium, in dem die Wassergeister wohnen und arbeiten dürfen. Zum Dank erlauben die Wassergeister den Menschen, jederzeit zu ihnen ins Aquarium zu kommen und dort den Schutz der Wassergeister zu genießen. Da Menschen im Wasser nicht atmen können, bekommt jeder Mensch bei seiner Geburt einen mitwachsenden Spezialanzug mit einer individuellen Nummer drauf von den Wassergeistern geschenkt, damit er auch wirklich jederzeit die Gastfreundschaft der Wassergeister in Anspruch nehmen kann, wenn ihm mal danach sein sollte. Und die Nummer ist dazu da, daß man schneller nachprüfen kann, ob das wirklich ein Mensch ist, der in dieses Aquarium kommen und Anspruch auf Bedienung durch die Wassergeister erheben darf. Vielleicht gehört er in ein anderes Aquarium und hat hier in diesem gar keine Ansprüche geltend zu machen?
Da die Wassergeister gern alles unter Kontrolle haben, damit sie ihre Arbeit ordentlich machen können (gut, über die Motivation kann man sich streiten, aber nehmen wir hier der Einfachheit halber diese), gewöhnen sie die Menschen nach und nach daran, ihren Spezialanzug von morgens bis abends anzulegen, im Interesse der Menschen selbst natürlich. Denn es könnte doch jederzeit eine Gefahr auftreten, bei der sich die Menschen vielleicht ins Aquarium zu den Wassergeistern retten müßten, um dort den versprochenen Schutz der Wassergeister in Anspruch zu nehmen, nicht wahr? Und wenn sie dann ihren Spezialanzug nicht anhätten, würden sie jämmerlich zu Grunde gehen in der luftlosen Umgebung. Das kann ja keiner wollen.
Es dauert nicht lange, und die Menschen leben nicht mehr an Land, sondern im Wasser, wo die Wassergeister das Sagen haben. Denn da sie dauernd den Spezialanzug mit der individuellen Nummer darauf anhaben, gehen die Wassergeister einfach davon aus, daß die Menschen zu den Mitarbeitern im Aquarium gehören, für welche die Wassergeister die Verantwortung haben. Und die Menschen finden es durchaus bequem, daß ihnen im Aquarium so fürsorglich jemand die Verantwortung für ihr Wohlergehen abnimmt. Daß man auf den, der die Verantwortung hat, dann hören muß und tun, was er sagt, das versteht sich natürlich von selbst. Denn wie sollen die Wassergeister schließlich ihre Arbeit machen, wenn jeder einfach tut und läßt, was ihm gerade einfällt? Da würde doch Anarchie herrschen, Mord und Totschlag und niemand wäre mehr seines Lebens sicher!
Noch ein wenig später haben die Menschen völlig vergessen, daß sie ihre Angelegenheiten auch selbst regeln und sich selbst organisieren und beschützen könnten, daß sie den Spezialanzug ursprünglich nur für gelegentliche Besuche im Aquarium bekommen haben, daß sie nicht als Wasserlebewesen auf die Welt kommen, sondern als Landlebewesen. Wenige Tage nach der Geburt bekommt jeder Mensch nun seinen Spezialanzug angezogen und behält ihn bis zum Lebensende an. Tag und Nacht, Woche für Woche, Monat für Monat, Jahr für Jahr. Er wächst damit auf, daß es völlig selbstverständlich ist, sich von den Wassergeistern vorschreiben zu lassen, was man darf und was man nicht darf, und daß es ganz schrecklich gefährlich ist, das Aquarium jemals zu verlassen, ja, daß es außer dem Aquarium nur noch andere Aquarien in der Welt gibt und sonst nichts. Das ist Zivilisation, lernt er in der Schule. Außerhalb des Aquariums gibt es nur niedere, völlig primitive Lebensformen, und vor allem: keinen Komfort! Menschenopfer! Jeder betrügt jeden, jeder ist des anderen Feind! Eine brutale, tödliche Welt, ganz anders als die sinnvolle, wohldurchdachte Ordnung im Aquarium, wo jeder auf seinen sicheren Platz verwiesen wird und dort wartet, bis die Verwaltung etwas zu tun für ihn findet. Oder etwas zu essen.
Wer im Aquarium arbeitet, der muß den Wassergeistern von den Ergebnissen seiner Arbeit etwas abgeben. Nicht viel. Nur so um die 80-90%. Das wird an die verteilt, für die die Wassergeister nichts zu tun finden oder die aus irgendeinem Grund nicht arbeiten können. Und nach all der Zeit im Aquarium arbeiten schon sehr, sehr viele Menschen für die Wassergeister. Oder stehen zumindestens bereit, für die Wassergeister zu arbeiten. Und fast alle bekommen Wohnung und Essen von den Wassergeistern bezahlt und müssen dafür auf jedes Kommando der Verwaltung sofort stramm stehen und gehorchen, weil sie sonst ganz schnell keine Wohnung und kein Essen mehr haben.
Für das Leben in ihrem Aquarium haben die Wassergeister Aquariumsregeln gemacht. Wer gegen die Aquariumsregeln verstößt (und es gibt viiiele!), der kommt vor ein Wassergeistergericht und wird bestraft. Die Wassergeister sind die Herren, denn sie haben die Regeln hier gemacht, und die Menschen sind die Diener. Sie müssen gehorchen, denn was können sie denn schon tun? Gegen die Wassergeister verliert man immer, die sitzen am längeren Hebel …
Aber irgendwann fällt einigen Menschen ein, daß sie mal Geschichten von ganz früher gehört hatten, wo die Menschen außerhalb des Aquariums wohnten. Obwohl es da so schrecklich gefährlich und menschenfeindlich war. Wie hatten die das damals bloß gemacht? So ganz ohne den Schutz und die Fürsorge der menschenfreundlichen Wassergeister? Die Menschen fangen an, herumzuprobieren, wie sie aus dem Aquarium herauskommen könnten, denn nicht jeder findet es schön, sein Leben lang bevormundet, herumkommandiert, ausgenutzt und abkassiert zu werden.
Und eines Tages kommen sie auf den Trick. Der ist so einfach wie genial: Das, was die Menschen immer für ihre Haut gehalten haben, ist gar nicht ihre Haut! Es ist ein Spezialanzug für den Aufenthalt im Wasser, den man AUSZIEHEN kann! Und den man vor allem gar nicht erst anziehen muß! Wer hätte das gedacht … Und wenn man den Spezialanzug nicht anhat und an Land ist, dann haben die Wassergeister keine Macht mehr über einen. Keine Aquariumsregel gilt für Menschen auf dem Land, kein Wassergeistergericht kann einen verurteilen, denn die Wassergeister können aus dem Wasser nicht heraus. Die Menschen dagegen können rein ins Wasser und wieder raus, wie es ihnen einfällt, denn Menschen haben sich die ganze Sache überhaupt erst ausgedacht! Das Aquarium gebaut, den Wassergeistern die Verwaltung von Luft, Erde, Feuer und Wasser übertragen, die Spezialanzüge erdacht und angefertigt – einfach alles gehört ja den Menschen, und nicht den Wassergeistern. Die Wassergeister sind die Diener, wenn die Menschen zu Besuch zu ihnen ins Aquarium kommen, und die Menschen die Herren! Wie haben die Menschen das nur so ganz und gar vergessen können?
Daß die Wassergeister sie lieber nicht daran erinnern, ist verständlich. Wenn man die Möglichkeit bekommt, Herr statt Diener zu sein, dann nutzt man die doch, und zwar pronto, bevor die Gelegenheit wieder weg ist, oder? Die Wassergeister können sich die Menschen aber nur untertan machen, wenn die Menschen zu ihnen ins Wasser kommen (notfalls werden sie mit List oder Gewalt reingezogen) und es am besten nie wieder verlassen, wenn die Menschen am besten gar nicht mehr wissen, daß sie Menschen sind, und keine Wassergeisterdiener.
Fast wäre die Rechnung der Wassergeister aufgegangen. Aber nur fast …