Oswald Spengler und die Grundkonstante des Menschseins

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Es ist schon erstaunlich, in welchem Maße meine ganz eigenen Einsichten und Schlußfolgerungen mit dem übereinstimmen, was Oswald Spengler schon 1918 in „Der Untergang des Abendlandes“ schrieb. Er hat damals vieles formuliert, was ich heute denke, ohne es von ihm gelesen zu haben:

Spenglers Methode läuft also auf ein organologisches Weltbild mit lebensphilosophischen Akzenten hinaus. Nicht nur Pflanzen und Tiere, sondern auch die künstlichen Äußerungsformen des Menschen, Kunst, Gesellschaft, Politik, Staat sind für ihn Lebenseinheiten.

„Kulturen sind Organismen. Weltgeschichte ist ihre Gesamtbiographie.“

Der Sinn der Geschichte erfüllt sich im Werden und Vergehen dieser Hochkulturen, nicht etwa in linearen Geschichtsvorstellungen wie dem Schema Altertum – Mittelalter – Neuzeit. Spengler betrachtete diese Erkenntnis als die kopernikanische Wende in der Geschichtsbetrachtung.

Die noch seelenhafte Frühzeit gebiert stets einen Mythos großen Stils … Zugleich treten die neuen politischen Mächte hervor, Adel und Priestertum, die beiden Urstände jeder Kultur. [Nun ja, an dieser Stelle wäre jetzt eine Definition des Kulturbegriffs fällig. freewoman]

Mit der Zeit geht die politische Verfassung vom Lehnsverband zum Ständestaat über. Das landverbundene Leben der Frühzeit weicht einer Stadtkultur, in der zunehmend der „Dritte Stand“ (tiers), das Bürgertum, eine Rolle spielt. Später, im Zustand der Zivilisation, wird mit dem Proletariat ein „Vierter Stand“ hinzutreten. Abseits bleibt das Bauerntum, von Spengler mit „Nichtstand“ bezeichnet, der ursprünglicher ist als die übrigen Stände, von diesen aber verachtet und politisch ignoriert wird.

Den Höhepunkt der Kulturentwicklung bildet jedes Mal der Absolutismus …

Die letzte Phase einer Kultur nennt Spengler ‚Zivilisation‘. Der Begriff zehrt von der deutschen (nicht westlich-angelsächsischen) Tradition, Kultur und Zivilisation als Gegenbegriffe zu nehmen. Spengler ordnet die beiden Zustände erstmals historisch an. Zivilisation ist der Tod der Kultur, genauer: Der Kulturtod vollzieht sich, indem Kultur in Zivilisation übergeht.

Als Merkmale einer sterbenden, weil „zivilisierten“ Welt nennt Spengler u.a. folgende:

– Künstlichkeit und Erstarrung aller Lebensbereiche,
– Herrschaft der anorganischen Weltstadt anstelle des lebensvollen bäuerlich geprägten Landes,
– kühler Tatsachensinn anstelle der Ehrfurcht vor dem Überlieferten,
– Materialismus und Irreligiosität,
– anarchische Sinnlichkeit, panem et circenses, Unterhaltungsindustrien,
– Zusammenbruch der Moral und Tod der Kunst,


Die bürgerliche Revolution von 1789, die Ideale von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit führten Spenglers Meinung zufolge nur die Herrschaft des Geldes herauf. Der Kapitalismus aber unterhöhlt zunehmend die Gesellschaftsstruktur und wendet sich letzten Endes gegen seine eigenen Grundlagen der freiheitlichen Verfassung. Dadurch geht die Herrschaft des Dritten Standes schließlich auf die des Vierten Standes [damals Proletariat, heute: Unterschicht], der formlosen Masse der Weltstädte über. Genauer gesagt: Auf diejenigen, die diese Zivilisationsmassen als Dompteure in den Dienst ihrer eigenen Machtabsichten nehmen können. Das Resultat ist demnach der Verfall der Demokratie und die anbrechende Herrschaft der Populisten und Diktatoren.

Spengler hält diese Entwicklung für unausweichlich. Daher misstraut er den Idealen der freiheitlichen Demokratie und des Verfassungsstaates.

Geist und Geld stehen in einer inneren Beziehung. Sie unterscheidet sich, je nachdem, ob das wirtschaftende Subjekt ein Mensch der Kultur oder der Zivilisation ist. Der Kulturmensch treibt Handel mithilfe von Geld, der Mensch der Zivilisation denkt in Geld. Letzterer bezieht alles auf die anorganische Größe der abstrakten Zahl. Folglich ist die Periode der Zivilisation die hohe Zeit der Finanzmagnaten, der Börsenspekulanten, des Kunsthandels und der Korruption.

Auch mit Bezug auf den Geldfaktor divergieren die Kulturen untereinander. Die Antike kannte zur Römerzeit ebenso die Herrschaft des Geldes – Spengler benutzt dafür den heute belasteten Begriff der Plutokratie – wie die abendländische Moderne im Zeichen der amerikanischen Dominanz und der Weltleitwährung des US-Dollars. Antike Menschen aber verstanden unter Geld, ganz konkret, einen Geldhaufen. Abendländisches Gelddenken vollzieht sich Spengler zufolge anders, ‚faustisch‘ sozusagen, ‚unendlich‘. Das Symbol hierfür ist die doppelte Buchführung, die Auffassung des Geldes als dynamische Größe, als Funktion und Machtinstrument. Erst der beginnende Cäsarismus liquidiert, so Spengler, die Allmacht des Denkens in Geld, zusammen mit deren politischer Basis, der Demokratie.

Das Symbol des abendländischen Gelddenkens (und auch seine innere Struktur) ist die doppelte Buchführung. Zu dieser Schlußfolgerung bin ich selbst gekommen und habe schon vor Monaten beschlossen, mich nicht länger unter dieses allgegenwärtige und allgemein für selbstverständlich und unverzichtbar gehaltene Joch zu fügen, das meinem Wesen zutiefst widerspricht. Daß Spengler dieselbe Einsicht hatte, fasziniert mich, und ich sehe mich in meinen Entscheidungen bestätigt.

Abendländische Technik strebt, vom gotischen Bauerntum bis zur modernen Industrie, nach Herrschaft über die Natur. Der Lebensimpuls der Unendlichkeit ergreift den Herrn der Maschine und macht ihn letztlich zu deren Sklaven.

Man hat Spengler Fatalismus und Kulturpessimissmus vorgeworfen. Er sah offenbar als nächste Stufe nach der demokratischen Phase den sogenannten Cäsarismus (Totalitarismus) und danach den endgültigen Absturz der Kultur mit Rückkehr zum ursprünglichen, landverbundenen Leben in Einfachheit – von Spengler mit gewisser Verachtung als Fellachentum bezeichnet.

Nun, da wissen wir ja, wo wir stehen, und was sich naturgesetzmäßig für unsere Nicht-mehr-Kultur, sondern Schon-Spät-Zivilisation absehen läßt. Und wir wissen, wo bei alldem die Grundkonstante des Menschseins zu finden ist – im Leben auf dem Land, mit dem Land und von dem, was das Land zu geben bereit ist.

Dieses Mal wird die Vollendung, also das Verschwinden einer Kultur wohl besonders abrupt geschehen. Die letzten Generationen, die noch wissen, wie man sich auf der nördlichen Halbkugel direkt von der Erde und ihren Gaben ernährt und dort aus eigener Kraft überlebt, sterben weg. Vielleicht noch höchstens 10-20 Jahre, und die Abhängigkeit unserer Zivilisation von Technik und funktionierender Infrastruktur sowie das Gelddenken wird den abendländischen Menschen derart weit von seinen Lebensgrundlagen entfernt und soviel davon zerstört haben, daß er direkt am Verlust seines Menschseins zugrundegeht.

Dann kann es geschehn dass bald niemand mehr lebt,
niemand der die Milliarden von Toten begräbt.

Die Lösung heißt, Wissen und Können zum Leben auf dem Land, mit dem Land und von den Gaben des Landes aneignen, pflegen und weitergeben. Mehr oder gar Wichtigeres kann man nicht tun.

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