Otto von Gierke über das BGB

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„Wird dieser Entwurf nicht in diesem oder jenem wohlgelungenen Detail, sondern als Ganzes betrachtet, wird er auf Herz und Nieren geprüft und nach dem Geiste befragt, der in ihm lebt, so mag er manche lobenswerte Eigenschaften offenbaren. Nur ist er nicht deutsch, nur ist er nicht volkstümlich, nur ist er nicht schöpferisch – und der sittliche und sociale Beruf einer neuen Privatrechtsordnung scheint in seinen Horizont überhaupt nicht eingetreten zu sein! Was er uns bietet, das ist in seinem letzten Kern ein in Gesetzesparagraphen gegossenes Pandektenkompendium. […] Das innere Gerüst des ganzen Baues vom Fundament bis zum Giebel entstammt der Gedankenwerkstätte einer vom germanischen Rechtsgeiste in der Tiefe unberührten romanischen Doktrin.[…] Mit jedem seiner Sätze wendet dieses Gesetzbuch sich an den gelehrten Juristen, aber zum deutschen Volke spricht es nicht. […] In kahler Abstraktion löst es auf, was von urständigem und sinnfälligem Rechte noch unter uns lebt“.

Der Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuchs und das deutsche Recht, Otto von Gierke, 1889

Wikipedia:
Ein weiterer Kritikpunkt von Gierkes war die Ausrichtung persönlicher Rechte auf die Privatnützigkeit. Betreffend die romanische Doktrin des ersten Entwurfes führt er in einer Rede vor der Wiener Juristischen Gesellschaft desselben Jahres aus:

„Mit dem Satze ‚kein Recht ohne Pflicht‘ hängt innig unsere germanische Anschauung zusammen, daß jedes Recht eine ihm immanente Schranke hat. Das romanische System an sich schrankenloser Befugnisse, welche nur von außen her durch entgegenstehende Befugnisse eingeschränkt werden, widerspricht jedem sozialen Rechtsbegriff. Uns reicht schon an sich keine rechtliche Herrschaft weiter, als das in ihr geschützte vernünftige Interesse es fordert und die Lebensbedingungen es zulassen.“

Das romanische Recht, wie er es nennt, ist von seinem Charakter her mesopotamisch orientiert, würde ich sagen. Womit ich nicht behaupte, es sei mesopotamischen Ursprungs! Aber es ist das Recht eines hierarchisch aufgebauten und expansionsfreudigen Machtstaates, der Macht als Ergebnis der Eigentumsidee und reinen Selbstzweck, nicht etwa als ethische Aufgabe betrachtet. Die permanent hierarchisch geteilte Gesellschaft in Bestimmer und Gehorcher hat, soweit wir bisher wissen, ihren Ursprung in Sumer in Mesopotamien und fand, wie es scheint, über die semitische Sprache Verbreitung, zunächst nach Ägypten, Persien und Griechenland.

Relativ gleichzeitig mit der Entstehung der ersten mesopotamischen Stadtstaaten begannen die Migrationsbewegungen der indoeuropäisch sprechenden Halbnomaden nördlich des Kaukasus in fast alle Richtungen, vermutlich als Ergebnis der Erfindung des von Ochsen gezogenen Räderkarrens. Sie kannten, nehme ich an, nur das Konzept des Besitzens, nicht aber das des totalen Eigentums, aus welchem sich totaler Machtanspruch überhaut erst speist.

Mesopotamisch und Indoeuropäisch scheinen zwei räumlich und inhaltlich unabhängig voneinander sich entwickelnde, weitgehend heterogene Kulturkreise gewesen zu sein. Die wertbezogene Grundausrichtung war sehr unterschiedlich, wenn ich das richtig sehe. Verantwortungsbezogene Besitzidee versus machtbezogene Eigentumsidee. Gemeinschaftsgedanke versus Machtgedanke. Menschsein versus Gottgleichheit.

Falls jemand sich schon ausführlicher als ich mit diesem Thema beschäftigt hat, würde ich mich über fundierte Hinweise freuen. Und, ja: Ich versuche, Otto von Gierkes Ansicht zum Charakter des deutschen/germanischen Rechtsgedankens aus völkerkundlich-anthropologischer Sicht zu überprüfen. Ganz ohne wissenschaftlichen Anspruch, nur auf der Suche nach solidem Wissen.

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  1. Wenn ich denn eine Empfehlung geben darf … Versuch es mal hiermit, für ganze null Komma null 2 EUdSSR-Cents: http://www.amazon.de/Anfang-Frau-Zivilisationsgeschichte-weiblicher-Sicht/dp/3881040226/ref=sr_1_1?ie=UTF8&qid=1390403592&sr=8-1&keywords=am+anfang+war+die+frau.
    Ich hatte erst kürzlich das große Glück, in einem anderen Blog über diese Buchempfehlung zu stolpern. Kaum zu glauben, wie beim Lesen ein phänomenales Aha-Erlebnis das nächste jagt – und ich bin erst zur Hälfte durch. Bei manchen Themen kann frau echt nur noch den Kopf schütteln, wie solche doch offensichtlichen Zusammenhänge einem das ganze bisherige Leben lang, trotz allen „Aufwachens“ etc. pp., verborgen bleiben konnten. Die Lügenmafia hat unumstritten zu allen Zeiten rund um die Uhr bis einschließlich gerade eben ganze Arbeit geleistet.
    Mesopotamien kommt auch ganz viel vor, erscheint aber mal in einem ganz gewaltig anderen Licht, als einschlägige „Wissenschafts“-Disziplinen uns allezeit und allerorten weismachen wollen. Ein vergessener Klassiker, der bald ein halbes Jahrhundert auf dem Buckel hat – lohnt sich aber absolut!

  2. Männerfreundin hin, Anti-Emanze her – jeder stecke sich in die Schublade, die ihm behagt. ;)Dennoch ist es von Vorteil, sich erst selbst einzulesen, bevor man seine Zeit mit unnützen, weil einschlägig vorbelasteten Rezensionen verschwenden muss. Man mag ja über Verschiedenes durchaus geteilter Ansicht sein, aber über diesen billigen und polemischen Verriss ist das Buch definitiv erhaben; hier ist zu offensichtlich jemand subjektiv voreingenommen.

    Zum rätselhaften Sumerischen habe ich gerade gestern noch einen interessanten YouTube-Kanal gefunden, http://www.youtube.com/user/tamilsantham. Nach seinen Erkenntnissen scheint Tamilisch noch älter als das Sumerische und dessen Vorgänger zu sein, womöglich gar die lang gesuchte Proto-Welt-Sprache. Auch die tamilische Religion scheint die Ur-Religion zu sein. Keine Ahnung, ob es denn wirklich stimmt, aber eine weitere interessante Fährte ist es allemal.

  3. Entschuldigung, Freiwirtin, aber wenn das Original-Zitate aus dem Buch sind, die da mit Seitenzahl aufgeführt sind, dann reichen die mir schon zur Meinungsbildung. Ich gebe sowieso wenig auf fremder Leute Meinungen, sondern schau mir lieber den Gegenstand ihrer Meinung selbst an. Und das sind die Zitate aus dem Buch. Und die sprechen eine deutliche Sprache, da braucht niemand subjektiv voreingenommen zu sein. Ich lasse dich aber wissen, was ich denke, wenn ich das Buch hier und – soweit erträglich – gelesen habe. 😉

  4. Ach so: Älter als die australischen Aborigines sind die Tamilen wohl kaum.Die Aborigines sind seit mindestens 40.000 Jahren in Australien, ihre Kultur ist wahrscheinlichbis zu 100.000 Jahre alt und reicht damit offenbar zurück bis zum Beginn der Migration der Vorfahren der heutigen Aborigines von Zentralafrika aus. Das wahrscheinliche Alter ihrer Sprachen kann man sich da leicht denken. Die dravidischsprachigen Tamilen sind dagegen geradezu Jungspunde mit ihren ca. 8.000 Jahren:
    „Genetische und archäologische Hinweise weisen jedoch auf eine mögliche Migration dravidischer Stämme nach Indien während des 6. Jahrtausends v. Chr. hin.“ Wikipedia.

    Aber trotzdem danke für den Hinweis. Mit den Tamilen hatte ich bisher nichts zu tun.

  5. Ich habe kein Verständnis für eine Alt-Diskussion des Bürgerlichen Gesetzbuches, Stand vor mehr als 100 Jahren, weil es ungleich Wichtigeres zu diskutieren gibt – oder sollen wir mit diesem und ähnlichen Beiträgen vom Wichtigeren abgelenkt werden?
    Eine ähnl. Ablenkung geschah mit dem „Hitzlsberger-Hype“ in den gleichgeschalteten System-Medien, und das Schreckliche daran ist, daß man nicht einmal die Chance hatte, die Medien dafür zu kritisieren, auch das ist uns ja verwehrt. Ist eine Kritik an absolut 122-rangigen Themen auch hier unerwünscht?

  6. Nö, ist nicht unerwünscht. Beeindruckt mich aber auch nicht. Mir stellt sich sehr wohl die Frage, was aus dem Deutschen Reich bewahrenswert ist und was nicht. Und ich will verstehen, worin der Grundkonflikt besteht, dem wir die gegenwärtige Situation zu verdanken haben. Wenn man den nicht unter die Lupe nimmt, doktert man weiter sinnlos an Symptomen herum, ohne das Grundübel aus der Welt zu schaffen.

    Welches Thema findest du denn grad am wichtigsten?

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